Nicht nur
beim Verlassen eines Theaters frage ich mich manchmal: "Was ist Theater?" Und ein ziemlich starkes "eigentich" schwingt da gehörig mit. Denn die Frage ist leicht gestellt. Aber die Antwort ...
Wäre ich mit
Friedrich Schiller durch die Rheinauen bei Mannheim gestreift, er hätte mir vom
Theater als moralischer Anstalt und Ort der Aufklärung geschwärmt. Im Qualm des
Hamburger Tabakskollegiums hätte mir Lessing das bürgerliche Trauerspiel ans
Herz gelegt. Zeitsprung: Beim Angeln in Schweden hätte Brecht mir die Grundzüge
seines epischen Theaters und die gewollte Distanz zwischen Zuschauer und Bühne
erklärt.
Die gleiche
Frage an Stückeschreiber (wie ich sie alle ohne despektierliche Absicht nennen möchte) aus den letzten 400 Jahren bis heute würde mir eine erdrückende Vielfalt an Theorien und Meinungen liefern. Und die Erkenntnis, dass die Antworten immer nur eine
Momentaufnahme aus dem Schaffen des jeweiligen Autors, der gesellschaftlichen Verhältnisse und
geisteswissenschaftlichen Strömungen der entsprechenden Epoche sind.
Und was
antworten mir die Schauspieler als die eigentlichen „Exekutanten“ auf der Bühne?
Was treibt Intendanten, Dramaturgen, und Regisseure an? Kürzlich wünschte Alexander
Kerlin, Dramaturg am Schauspielhaus in Dortmund, mit Blick auf die NSA-Affäre, sich
das Theater als „Trainingslager gegen Fremd- und Selbstüberwachung“. Zugegeben, hochgegriffen! Aber da zeichnet sich Theater in wahrlich neuen Dimensionen ab. Und
die Vielfalt, aus der wir heute schöpfen können, um Theater zu machen.
Der Blick
auf aktuelle Spielpläne der Schauspielhäuser lässt Unerhörtes erkennen: Das Theater verlässt sein
Gebäude, geht raus in seine Stadt, sucht sich dort neue Spielräume. Und
drinnen stehen und sitzen die Zuschauer auf der Bühne, die Schauspieler oft mittendrin.
Das Theater, wo man hingeht, sich setzt, zuschaut und wieder geht, löst sich
von seinen Wurzeln. Und schon ist man auf dem Weg in eine mediale Symbiose aus
Schauspielern, Ton- und Videokünstlern – gelegentlich auch mal ohne Schauspieler.
Videos entstehen realtime als Schauspiel, Verdopplung und/oder Entkopplung
der Ereignisse.
Verwirrend? Ja!
Aber gerade durch seine Lebendigkeit entzieht sich Theater ebenso geschickt wie
beeindruckend einer einfachen Antwort. Und das ist auch gut so.